Dies ist eine Fragestellung, mit der sich viele Coaches beschäftigen. Denn es ist völlig menschlich, dass bei dem ein oder anderen Thema meine eigenen Gefühle und Erfahrungen angesprochen werden. Das aller wichtigste Instrument ist meiner Meinung nach die kontinuierliche Arbeit an den eigenen „Baustellen“. Je klarer ich mir bin, welche Themen mich beschäftigen, welche Verhaltensweisen oder Meinungen in mir Wut, Angst oder Trauer auslösen, desto einfacher ist es, im Coaching zu trennen, was meine Themen sind und was zu dem Klienten gehört. Ich veranschauliche dies in einem Beispiel:
Gegenüber sitzt mir eine Frau, die in ihrem ersten festen Job nach dem Studium eine Vorgesetzte hat, die ihr nicht viel zutraut. Diese junge Frau schildert mir ihre große Verunsicherung. Sie berichtet, dass alles, was sie tut kleinteilig kontrolliert und hinterfragt wird und sie mehr und mehr blockiert, weil sie selber das Vertrauen in ihre Fähigkeiten verliert. Diese Situation erinnert mich als Coach an eine meiner vergangenen Arbeitssituationen und ich werde plötzlich wütend auf die Vorgesetze meiner Klientin.
Das ist der Moment, wo ich sofort achtsam trennen muss: meine Erfahrung hat nichts mit der Situation meiner Klientin zu tun und meine Gefühle haben nichts in dieser Coaching Sitzung zu suchen.
Habe ich diese alte „Wunde“ aus meiner eigenen beruflichen Laufbahn bereits geheilt, fällt es mir leicht, mich wieder zu 100% auf die Klientin einzustellen. Ist es aber ein Thema, das für mich noch nicht gelöst ist, so kann es durchaus schwierig werden. Sobald ich also dieses eigene Gefühl der Wut spüre, muss ich etwas tun. Die erste und einfachste Maßnahme ist immer „atmen“ – und zwar sehr bewusst. Reicht das nicht aus, um die Gefühle und Gedanken ganz schnell beiseite zu schieben, ist es ratsam, eine kurze Pause einzulegen. Denn die Klientin verdient meine volle Aufmerksamkeit.
Es gibt etliche Achtsamkeitstechniken, mit denen ich sehr schnell den Fokus wieder gewinnen kann. Ich persönlich verpacke Themen, die sich plötzlich in meine Gedanken schieben, gerne in hübsche Geschenkkartons, versehe sie liebevoll mit einer Schleife und stelle sie beiseite, damit ich mich später zu einem passenderen Zeitpunkt mit ihnen beschäftigen kann. Warum ich diesen Gedankenprozess so ausschmücke?? Vielen passiert es, dass sie sich dafür verurteilen, im Coaching gedanklich abzuschweifen und dann auch diesen Gedanken verurteilen und damit unzufrieden sind, dass sie nicht 100% konzentriert sind. Dies führt sehr schnell zu einer negativen Gedankenspirale und je tiefer man in sie eintaucht, um so schwieriger ist es, sie wieder zu stoppen. Daher hilft mir der liebevolle Umgang mit den störenden Gedanken in einer oben beschriebenen Situation. Die Ausführung ist hier sicherlich sehr persönlich und spiegelt meine Leidenschaft für schöne, dekorative Dinge 🙂 Ich finde es sehr wichtig, hier einen sehr persönlichen individuellen Weg zu finden, um achtsam mit den eigenen Gedanken und Gefühlen umzugehen.
Zusammenfassend läuft der Prozess für mich wie folgt ab:
Was kann darüber hinaus einen professionellen Coaching-Prozess gefährden?
- Es kann sein, dass ich eine Klientin oder einen Klienten besonders sympathisch oder unsympathisch finde
- Ich kann zu einer mir geschilderten Situation eine sehr klare und starke Meinung haben (z.B. ein Klient erzählt mir, dass er einen Mitarbeiter bewusst schlechter bewertet, um persönliche Vorteile davon zu haben)
- Ich halte aus meiner Perspektive eine bestimmte Lösung für völlig logisch und naheliegend, die Klientin kommt aber von alleine nicht darauf.
In all diesen Situation greift für mich das oben beschriebene Schema. Als erstes muss ich mir der Verstrickung bewusst sein und dann entsprechend reagieren. All diese Verstrickungen sind vollkommen normal, jeder Coach ist schließlich auch ein Mensch mit eigenen Meinungen, Gefühlen und Erfahrungen. Und ich bin sogar ganz sicher, dass insbesondere danach ja auch ein Coach ausgewählt wird (ist der Coach dem Klienten sympathisch? Ist man auf einer Wellenlänge? Gibt es ein paar Überschneidungen im Lebensweg, ähnliche Erfahrungen?, etc.). Jedoch gilt es während des Coachings immer wieder, sich darauf zu besinnen, dass wir Coaches eine neutrale Umgebung bieten, in der es ausschließlich um die Klienten geht. Nur so kann ein Coaching erfolgreich und professionell ablaufen.
Für persönlichen Austausch ist immer am Rande der Sitzungen Platz, denn natürlich gilt es eine angenehme Atmosphäre zu schaffen, für die auch private Gesprächsthemen förderlich sind.